Ob willkürlich oder unwillkürlich, der Atem wird reguliert!
Die Atmung wird unwillkürlich, also automatisch über das vegetative Nervensystem gesteuert. Diese unwillkürliche Steuerung hat z.B. die Auswirkung, dass der Sympathikus die Bronchien erweitert und der Parasympathikus die Bronchien verengt. Das verantwortliche System aus Nerven, Muskeln und Lunge wird als Atempumpe bezeichnet. Der Atem ist ein muskulär gesteuerter Prozess, der den Menschen bewegt und am Leben hält.
Eine interessante muskuläre Aktion findet im Bereich der Stimmritze statt. Bei der Inspiration (Einatmung) öffnet sich die Stimmritze, sodass der Widerstand für die inspiratorische Luftströmung geringer wird und die Luft leichter einströmen kann. Die Erweiterung der Stimmritze wird durch die unwillkürliche Aktivierung der Adduktormuskeln des Kehlkopfes (Mm. cricoarytenoidei posteriores) eingeleitet. Die Aktivierung der Adduktormuskeln des Kehlkopfes (M. cricoarytenoideus lateralis, M. arytenoide- us transversus) kurz vor der Exspiration (Ausatmung) führt hingegen dazu, dass sich die Stimmritze verengt, wodurch der passive exspiratorische Luftstrom abgebremst wird. Aus diesem Grund ist die Exspiration länger als die Inspiration. Bei der Ujjayi-Atmung verstärken wir dieses natürliche Atemphänomen und wenden es sowohl bei der Exspiration, wie auch bei der Inspiration an. So sind wir in der Lage die Länge unseres Atems zu beeinflussen.
Unser Atem passt sich automatisch den Situationen an, die wir erleben. Wie anpassungsfähig und vielseitig unser Atem ist, sollen die folgenden Beispiele verdeutlichen:
- Frequenz:Bestehen Ruhebedingungen, so erfolgen Ein- und Ausatmung mit einer Frequenz von 10 - 15 Mal (individuelle Abweichungen möglich) ein- und ausatmen pro Minute. Damit dauert ein Atemzyklus (Ein- und Ausatmung) in Ruhe 4 - 7 Sekunden, wobei für die Einatmungsphase 1 - 2 Sekunden und für die Ausatmungsphase 2 - 3 Sekunden mit einer postexpiratorischen Anhaltephase von 1-2 Sekunden benötigt werden. Bei körperlicher Belastung steigt der Bedarf des Körpers an Sauerstoff. In diesem Fall ist eine erhöhte Atemfrequenz notwendig, denn nur so kann der erhöhte Bedarf an Sauerstoff und abzuatmendem Kohlendioxid gedeckt werden. Im Schlaf kann die Atemfrequenz im Vergleich zu den Ruhebedingungen noch sinken.
- Rhythmus:Jedes Gähnen beinhaltet eine natürliche Atempause nach der Einatmung, auf die eine lang gezogene Ausatmung folgt, auf diese folgt wiederum eine Atempause.
- Länge:Halten wir gerade einen Vortrag, wird sich unser Atem an unsere Sprechweise anpassen. Beim Reden atmen wir aus. Reden wir über eine längere Zeit, verschiebt sich das Verhältnis von Ausatmung und Einatmung. Wir atmen dabei viel länger aus als ein.
- Lautstärke:Laufen wir gerade einen Marathon wird unser Atem sehr viel lauter, als wenn wir auf dem Sofa liegen.
- Atemwege:Im Laufe eines Tages wechseln sich unsere Nasenlöcher in einem ca. 3-stündigen Rhythmus mit dem Luftholen ab. Dieser Nasenzyklus bewirkt, dass ein Nasenloch mehr Luft hinein und heraus befördert als das andere.
- Atemräume:Liegen wir, wird unser primärer Atemraum wahrscheinlich der Bauch sein. Werden wir körperlich aktiver, rutscht der Atemraum nach oben zum Brustkorb, um uns mit mehr Stabilität zu versorgen.
- Atempausen:Ein plötzlicher Reiz zieht schnell unsere Aufmerksamkeit, was mit dem Anhalten des Atems einhergeht. In einer Situation, in der unsere Aufmerksamkeit schnell gebunden wird, ist es wichtig schnellstmöglich zu reagieren. Das Anhalten des Atems ermöglicht es uns unbewegt und lautlos zu sein, wodurch wir den äußeren Reiz besser wahrnehmen können. Wir lassen den Reiz auf uns wirken und stellen uns darauf ein. Energie wird abgezogen von dem, mit dem wir zuvor beschäftigt waren und sie wird umgelenkt auf eine körperlich-emotionale Reaktion.
Wie wir sehen lenkt sich unser Atem jeden Tag von selbst auf ganz natürliche Weise, meist ohne von uns bemerkt zu werden. Beim Pranayama nutzen wir die Möglichkeiten des Atems nun auf eine bewusste und willentliche Art.
Von der unwillkürlichen zur willkürlichen Atemlenkung (Pranayama)
Als Menschen sind wir in der Lage unseren Atem zu regulieren. Über unser motorisches Nervensystem können wir den Atem willentlich forcieren und damit ist es möglich das Atemvolumen zu beeinflussen. Über das normale Atemzugvolumen hinaus, können sowohl bei der Inspiration als auch bei der Exspiration erhebliche Zusatzvolumina aufgenommen bzw. abgegeben werden. Doch auch die tiefste Ausatmung kann die Luft nicht vollständig abgeben, da immer ein Restvolumen in den Alveolen und den Atemwegen zurückbleibt. Die folgenden Volumina können unterschieden werden:
- Atemzugvolumen:In- bzw. Exspirationsvolumen, das beim Erwachsenen in Ruhe etwa 0,5 l beträgt und bei Belastung zunimmt.
- Inspiratorisches Reservevolumen: Volumen, das nach normaler Inspiration noch zusätzlich eingeatmet werden kann.
- Exspiratorisches Reservevolumen:Volumen, das nach normaler Exspiration noch zusätzlich ausgeatmet werden kann.
- Residualvolumen:Volumen, das nach maximaler Exspiration noch in der Lunge zurückbleibt.
- Vitalkapazität:Volumen, das nach maximaler Inspiration maximal ausgeatmet werden kann (= Summe aus Atemzug-, inspiratorischem und exspiratorischem Reservevolumen).
- Inspirationskapazität:Volumen, das nach normaler Exspiration maximal eingeatmet werden kann (= Summe aus Atemzug- und inspiratorischem Reservevolumen).
- Funktionelle Residualkapazität:Volumen, das nach normaler Exspiration noch in der Lunge enthalten ist (= Summe aus exspiratorischem Reserve- und Residualvolumen).
- Totalkapazität:Volumen, das nach maximaler Inspiration der Lunge enthalten ist (= Summe aus Atemzug-, inspiratorischem und exspiratorischem Reserve- sowie Residualvolumen).
Nun gibt es viele Atemtechniken, die sich den Atem zu Nutze machen und gezielt versuchen physiologische und psychische Effekte zu erzielen. Im Yoga kennt man eine Vielzahl von solchen Atemtechniken (prāṇāyāma). Pranayama setzt sich aus Prana (Lebensenergie) und Ayama (Ausdehnung, Kontrolle) zusammen. Pranayama ist damit die Kontrolle über die Lebensenergie.
In der Hatha Yoga Pradipika, einer alten und bedeutenden Schrift des Hatha Yoga, heißt es im Vers 2: „When the breath is irregular, the mind also is unsteady, but when the breath is still, so is the mind, and life is prolonged, hence one should regulate the breath“. Bei Patanjali ist Pranayama das vierte Glied auf dem Weg zu Samadhi (Selbsterkenntnis).
Die meisten der Atemtechniken aus dem Yoga regulieren die Frequenz, den Rhythmus, die Pausen sowie das beidseitige oder das wechselseitige Atmen durch die Nasenlöcher. Diese Techniken beinhalten die bewusste Kontrolle über den Atem mit Präzision und Aufmerksamkeit.
Autor: Niels Gödecke von Vapa Yoga in Greifswald unterrichtet u.a. schwerpunktmäßig Kurse zum Thema Atmung.